Der erste Deutsche Corporate Transformation Day in der Nachschau – Teil 4

 

Der vierte Abschnitt des Transformationstages ist der energetischen Wende gewidmet, mit dem Untertitel „Herausforderungen und Potenziale für die Wirtschaft“. Wir hatten dieses Thema ausgewählt, weil neben der Digitalisierung die Fragen zur Bewältigung der Energieengpässe von existenzieller Tragweite für viele Unternehmen geworden sind.

 

Ulrich Wagner, emeritierter Professor für Energiewirtschaft und Anwendungstechnik an der Technischen Universität München sowie Leiter des Forums für Energiewirtschaft (FfE), hatte diesen Abschnitt organisiert und die Moderation übernommen.

 

Die Einführung in diese Thematik übernahm Dr. Serafin von Roon, Geschäftsführer und stellvertretender Wissenschaftlicher Leiter des Forums für Energiewirtschaft (FfE). Mit seinem Vortrag „Der Weg in die neue Energiewelt – Herausforderungen und Chancen“ zeigte er auf, wo wir vor allem CO2-Emissionen abbauen müssen, um CO2-Neutralität zu erreichen. Den größten Abbau-Bedarf findet sich beim Verkehr (Mechanische Energie), bei der Industrie (Prozesswärme) und bei privaten Haushalten (Raumwärme). Im Strombereich wurde bereits deutlich mehr umgesetzt als in anderen Bereichen. Um das Ziel der CO2-Neutralität zielkonform (hier gewählt 2030) erreichen zu können, müssen wir den Zubau gewaltig beschleunigen. Bei der Photovoltaik von derzeit im Jahresmittel über 3,9 GW / Jahr auf 15,7 bis 22,0 GW/Jahr, in den Jahren 2022 bis 2030. Beim Onshore-Wind-Zubau liegt der notwendige Steigerungsfaktor in vergleichbarer Höhe: von bisher (2010 bis 2022) durchschnittlich 2,8 GW/Jahr auf 4,9 bis 10 GW/Jahr, im Zeitraum 2022 bis 2030. Von Roon versieht die Umsetzung mit Fragezeichen. Am Beispiel Bayern zeigt er plastisch auf, was das pro Jahr bedeuten würde, z.B.

  • Photovoltaik-Anlagen auf 160 Fußballfeldern plus 1000 Wohngebäuden
  • Inbetriebnahme von 2 bis 5 Windkraftanlagen
  • Ersatz 2.300 fossile Heizanlagen durch regenerative Energien
  • Energetische Sanierung von 1.250 Wohngebäuden
  • Installation von 3 Großbatteriespeichern in Größe von je einem Schiffscontainer…

Das Ziel ist klar – der Weg ist bekannt – erhebliche technische und wirtschaftliche Fragen sind jedoch noch nicht geklärt.

 

Dr. Andrej Guminski, gleichfalls vom Forum für Energiewirtschaft stellte mit seinem nachfolgenden Vortrag im Titel die Frage: „Wie lassen sich die ambitionierten Zielvorgaben für die industrielle Energiewende erreichen?“ Ausgangspunkt seiner Ausführungen sind folgende Daten:

  • Der Industriesektor steht für 1/3 der europäischen CO2-Emissionen, wovon ca. 25% aus Deutschland kommen
  • 80 % der CO2-Emissionen des europäischen Industriesektors stammen aus 6 intensiven Wirtschaftszweigen: Eisen & Stahl (291 Mt CO2), Chemie (235), Nicht-metallische Mineralien (218), Ernährung & Tabake (102), Papier (68), Nicht-Eisen-Metalle (66)

 

Dazu stellt er drei Thesen auf.

  1. Technologien: Die Energiewende setzt auf einen breiten Technologiemix aus: Energie- und Materialeffizienz verbessern, Energieträger hin zu Strom wechseln, Wasserstoff, SynFuels und CO2-Abscheidung.
  2. Die Kosten der Energiewende sind unkritisch
  3. De Rolle der Industrie hat sich in den letzten Jahren stark verändert: vom Bremser zum Treiber der Energiewende.

 

Stefan Henn, Prokurist der Wacker Chemie AG, ergänzte die Perspektiven der Forschung um eine Sicht aus der Industrie. Sein Vortragstitel „Die energetische Transformation italienischen Industrie – ein Praxisbericht“.

Wacker Chemie ist Repräsentant einer der energieintensiven Branchen. Die Chemische Industrie steht für rund 20 Prozent des Stroms, der von Industriebetrieben verbraucht wird. Allein die Wacker Chemie AG verbraucht in Deutschland 4.103 GWh Strom; damit liegt ihr Anteil am nationalen Stromverbrauch bei etwa 0,8 Prozent. Am Standort Burghausen versorgen die Alzwerke GmbH seit über einem Jahrhundert die Wacker Chemie AG mit elektrischer Energie. Wacker verbessert ständig die Energieeffizienz seiner Prozesse. So bleibt der Konzern auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig und leistet zugleich einen Beitrag zum Klimaschutz.

Neben Burghausen in Bayern und Nünchritz in Sachsen ist Charleston/Tennessee, in den USA Wackers dritter großer Verbundstandort. Zusammen mit dem Produktionsstandort im norwegischen Holla tragen diese Standorte zu rund 90 Prozent des konzernweiten Energieverbrauchs bei. Das Unternehmen hat sich mit zahlreichen Maßnahmen auf die energetische Wende eingestellt. Durch Wärme-Recycling bemüht sich Wacker, CO2-neutral produzieren zu können. Bis 2030 plant der Konzern, den spezifischen Energieverbrauch um 15% zu senken.

 

Frau Dr. Neitz-Regett, Leiterin Ressourcen und Klimaschutz im Forum für Energie (FfE) setzte die Vortragsreihe fort mit einem Beitrag betitelt mit „Sustainable Finance -Treiber für eine beschleunigte Transformation?“ Die Idee: Beschleunigung der notwendigen Transformation der Realwirtschaft durch nachhaltige Investitionen. Durch die Regularien auf EU-Ebene rückt die Nachhaltigkeits-Berichterstattung als Basis für Sustainable Finance in den Fokus. Es werden zeitnah immer mehr Unternehmen zur Sustainability-Berichterstattung verpflichtet. Die Anforderungen werden sowohl in der Breite (mehr Umweltaspekte) als auch in der Tiefe (Kennzahlen) zunehmend verschärft. Aber bei rechtzeitiger und fundierter Vorbereitung bieten sich zahlreiche Chancen für Unternehmen. Die notwendige Transformation der Realwirtschaft kann durch nachhaltige Investitionen beschleunigt werden.

 

Zur Diskussion: Das Beispiel Wacker zeigt, dass die Industrie willens und fähig ist, die Energiewende umzusetzen, vorausgesetzt der Staat sorgt für die nötigen Rahmenbedingungen. Haupt Stolperstein heute ist die zu langsame Genehmigung vom Bauvorhaben für neue Prozesstechnologien. So werden dynamische Vorreiter unter den Unternehmern ausgebremst. Der breite Wettbewerb liebt den Status Quo. So verzögert der Konservatismus in der deutschen Industrie die Umsetzung selbst von solchen Verfahren, deren Wirtschaftlichkeit längst erwiesen ist. Im Ergebnis stehen wir erst in Pilotphasen auch dort wo eine Branchenweite Implementierung bereits angesagt wäre.

Diskussionsbeitrag Kai Lucks:

Deutschland ist nicht Weltmeister der Umsetzung, sondern nur ein großer Ideengenerator. Bei der Umsetzung großer Infrastrukturvorhaben liegen wir ganz hinten, wie sich mit Stuttgart 21 (Bahn), Elbphilharmonie (Kultur) und BER (Flughafen) belegen lässt. Es gibt keinerlei Grund zur Annahme, dass der Bau der Infrastruktur zur CO2-Neutralität, die nochmals um zwei bis drei Zehnerstellen teurer sein wird als vorgenannte Projekte, Deutschland von den hintersten Performanceplätzen bei Implementierungen ganz nach vorn katapultieren wird:

Die energetische Transformation mit dem Zieljahr 2050, in dem wir gesamtgesellschaftlich die CO2-Neutralität erreicht haben wollen, wird sich aufgrund zahlreicher Umsetzungsbarrieren deutlich nach hinten verschieben. Geld und Technologien sind vorhanden. Aber Ressourcen fehlen uns, vor allem Arbeitskräfte, und der notwendige wirtschaftlich-industrielle Umbau wird sich verzögern, zumal die entscheidenden Rohstoffe weiterhin knapp bleiben werden. Und vor allem: wir verlieren jetzt am Anfang der energetischen Transformation zu viel Zeit mit Diskussionen, Zeit, die uns später bei der Umsetzung fehlen wird.

 

Die Aufzeichnung dieses Teils der Veranstaltung sowie aller weiteren Themenblöcke können Sie hier auf dem BM&A YouTube-Kanal ansehen.